Bizarre Formenspiele

ztg-hh-27-juni-1969_seite_3Vegetative Formen einer Versponnenen Natur kennzeichnen die Radierungen und Zeichnungen von Michael Fessel und Dietrich Leyh, die bis zum 31. Juli in der Galerie Latin in der Ulmenstraße ausgestellt werden. Micha Fessel (geb. 1941), ein ehemaliger Schüler der Werkkunstschule Münster, bevorzugt dabei das Diffuse, Ornamentale, die phantastische Figuration.

Auch Dietrich Leyh (geb. 1942), der in Hamburg bei Wilhelm M. Busch, Hausner und Guttuso studierte, zeigt eine Vorliebe für surreal oder jugendstilhaft anmutende Wucherungen, in denen Formen von Wols, Pollock und Bernard Schultze anklingen. Seine Stärke ist die Radierung, der er in verschiedenen Einfärbungen irisierende Töne abgewinnt.
H. T. F. Die Welt vom 27. Juni 1968 Prof. Dr. phil. Hanns Theodor Flemming (1920-2005), Kunsthistoriker und Kritiker, Welt Publizist und Hamburger Kunstpapst

Reich an Nuancen

Es ist ein glücklicher Einfall, die Freunde Michael D. Fessel und Dietrich Leyh zusammen auszustellen. Beide sind schon in Hamburg in den letzten zwei Jahren gezeigt worden.
Leyh ist ein vorzüglicher Techniker. Seine Radierungen verraten Prägnanz in der Konturierung und reiche Variationen in der Flächenstruktur. Seine Formen beschwören einen Urzustand, „Hundert Millionen vor Christus“, bizarre Landschaftsformationen aus einer Zeit, da die Erdoberfläche noch eine dynamische Masse war. Die Blätter sind so fein nuanciert und so reich an Tonalität, daß die Linien erdrückt werden, wenn versuchsweise Farbabzüge von der gleichen Kupferplatte gemacht werden.

Fessel hat sich in seinen letzten Arbeiten stark gewandelt, was an derFreundschaft mit Leyh liegen kann Wahrend Aquarelle und Collagen von 67, die ebenfalls ausgestellt sind, malerische Qualität und Pop-Effekte implizieren, verzichtet er in seinen neuesten Bildern fast ganz auf die Farbe. Dagegen entwickelt er eine unerschöpfliche Phantasie im Erfinden winziger Elemente, aus denen sich seine Gebilde zusammensetzen. (Bis Ende Juli in der Galerie Latin, Ulmenstraße 17-19.)

HH ABENDBLATT Nr. 153 vom 04.07.1968

Die Freude am Experiment

Acht junge Künstler stellen in der Galerie Mensch aus

die-freude-am-67Vor einer ihrer abstrakten Collagen steht Antje Schulze-Carow aus Buxtehude. Von Beruf Hausfrau und Mutter dreier Kinder, nahm sie gern die Gelegenheit wahr, im Rahmen der Ausstellung „Junge Maler und Künstler stellen aus“ im Atelier Mensch (St. Pauli, Fischmarkt 12) ihre formal und farblich interessanten Bilder zu zeigen. Deren einzelne Teile aus gerissenem Papier sind mit der Nähmaschine auf die Untergrundfläche aufgenäht und „vermalt“.

Auch die anderen sieben Aussteller verdienen Beachtung. Dietrich Leyh, Student an der Hamburger Kunsthochschule, ist vertreten mit Radierätzungen, inhaltlich von chagallschem Einschlag. Der 18jährige Schüler Gero tritt mit farbigen Wachskreidezeichnungen einfallsfreudig hervor. Drei Mitglieder der Gruppe „Mainzer Manierismus“ präsentieren sich: Gerd Heide mit „verpopten“ Gebilden, Rainer Hespe mit figürlichen, surrealistischen Grotesken, und der Autodidakt Norbert Rudolph überrascht mit naiven Gemälden, die manchmal an die Arbeiten der klassischen Primitiven heranreichen.

Mit farbig-heiteren Dom- und Marktbildern zeigt sich die Hamburgerin Rotraut Maison, während der Benjamin unter den Ausstellern, Thomas Wendtland (16jährigerSchüler), mit geschweißten Eisenplastiken pop-artig aufwartet.

Grafik – sensibel, witzig und surrealistisch

grafik-sensibel-witzig73Mappenwerke von Bruni, Almut Heise, Richter, Kitaj und Wewerka sind in der Galerie von Loeper ausgestellt. Die meisten dieser qualitätsvollen Grafik-Zyklen waren schon vorher in Hamburg zu sehen. Trotzdem ist es interessant, die verschiedenen Techniken und Auffassungen miteinander konfrontiert zu sehen. Neu sind Kitajs sensibel gestaltete Abbildungen von bibliophilen Buchrükken im Siebdruckverfahren und Richters „Heliogravüren“ : auf Radierplatten übertragene Fotos, die wie AquareWe aus früheren Jahrhunderten wirken. (Doormannsweg 22, bis 16. März, geöffnet dienstags bis freitags von 15 – 19, sonnabends von 11 – 16 Uhr.)

Grafik, besonders preisgünstig, von bekannten und unbekannten Künstlern präsentiert die „Schnecke“. In einer Sonderschau zeigt Dietrich Leyh Radierungen, deren feines Liniennetz sich zum Himmelspanorama oder zu einer weiten Schalterhalle verdichtet. Bei den Blättern von Michael Fessel entsteht aus orientalischer Ornamentik ein surrealer Paradiesgarten. Eberhard Oertel läßt auf seinen Ölbildern metallisch glänzende Science-fiction-Motive entstehen. (Im Turm auf der Moorweide, bis 14. März, geöffnet dienstags bis sonntags von 15 – 24 Uhr).

Witzig und dekorativ sind im Hamburgischen Anwaltsverein Dieter Wiens Kompositionen aus Textilien und weiblichen Akten. Auf seinen Gemälden und Grafiken überlappen wechselnde Stoffdekors in Form von Schnittmusterbogen die helltonigen Frauenkörper. (Ziviljustizgebäude, Sievekingplatz 1, bis 10. März, geöffnet montags bis freitags von 10 – 17 Uhr.)

In der Galerie für zeitgenössische Kunst nimmt G. M. Siewert mit surrealen Mitteln gesellschaftliche Mißstände der Gegenwart aufs Korn. Er setzt sie oft in Beziehung zu Mythologie, Geschichte oder Literatur. Das Orakel von Polis ist eine Dezimalwaage in Gestalt einer kopflosen Dame. Die heutige Schicksalsfrage lautet: Wieviel Pfunde?

Die daneben gezeigten „Meditationstafeln“ von Sigi Simon bestehen aus kubistischen Formen und phallischen Symbolen, die so abstoßend sind, daß dem Betrachter mit Sicherheit alle fleischlichen Gelüste vergehen. (Bornstr. Nr. 10, bis 11. März geöffnet montags bis freitags von 15.30 – 19.30 Uhr.)

mö Hamburger Abendblatt, / Nr. 51 vom 01.03.1973

Zeichnungen im Stundentakt

zeichnungen-im-stundentakt-Dietrich Leyh ist ein echter Schaffer. An guten Tagen zeichnet er seine Bilder im Stundentakt. Viel Ruhe braucht ein so konzentriert arbeitender Mensch, möchte man meinen. Fehlanzeige: Sein Lieblingsatelier ist die AXEL SPRINGER PASSAGE! Hier, wo das Leben pulsiert, sich Hamburger, Touristen, Redakteure, Fotografen und Verlagsmitarbeiter zum Plausch treffen, hier zeichnet Dietrich Leyh, 56, am liebsten. „Die gute Atmosphäre, die interessanten Ausstellungen und die Möglichkeit, mal schnell zwischendurch ’n guten Kaffee zu trinken – das gefällt mir“, sagt der Künstler. In den Stunden und Tagen, die er in der Passage verbrachte, hat er schon Dutzende von Kunstwerken geschaffen. Die Motive, die seine Blöcke füllen, sind so vielfältig wie die Themen der Ausstellungen. Rasante Rennwagen aus der „Silberpfeil-Ausstellung“ sind ebenso gekonnt dargestellt wie zahlreiche Exponate des „Silberschatzes“ aus dem Hamburger Rathaus. Auch preisgekrönte Fotos von Spitzenfotografen, die in der Passage mehrfach zu sehen waren, dienten Dietrich Leyh als Vorlage. Momente, die Weltgeschichte machen, hat er als filigrane Strichzeichnungen in seinen Blöcken verewigt.
Für sich entdeckt hat Dierich Leyh, der bereits seit 25 Jahren als Berufszeichner tätig ist, die AXEL SPRINGER PASSAGE bei einem seiner Streifzüge durch die Hansestadt. „Ich bin halt immer auf Motivsuche – man muss im Training bleiben.“Vorher hat er oft und viel in den Hamburger Museen gezeichnet. Jetzt ist unsere Passage für ihn die „erste Adresse“. (Andre Zand-Väkili)
Springer Aktuell (Mitarbeiterjournal Axel Springer Verlag) Mai 1999